Tanzwissenschaft studieren?
Was können Körper miteinander bewegen? In welchen Kontexten, Verhältnissen und Qualitäten bewegen sie sich dabei? Und was bewegt sich mit ihnen – an Energien, Geschichte/n, sinnlich-sozialen Ordnungen oder Traumata?
Unter den Vorzeichen der Pandemie wurde besonders deutlich, wie ein demokratisches Miteinander, Bewegungsfreiheit oder Aushandlungsprozesse von Identität immer radikal auf Körper, Bewegungen und Ordnungen von Raum bezogen sind. Es stellen sich Fragen nach dem Wert und dem Ort von Körperlichkeit in unzähligen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Die Fähigkeit, sich sensibel, differenziert und analytisch mit körperlichen und zwischenkörperlichen Verhältnissen auseinanderzusetzen, gehört in immer mehr Arbeitsfeldern zu den zentralen Kompetenzen oder Zielen.
Die Beschäftigung mit Tanzwissenschaft ermöglicht die Aneignung und Entwicklung von Werkzeugen und Methoden, um solche Fragen im Detail zu bearbeiten. Welche Perspektiven eröffnen sich über Praktiken des Tanzens, des Choreographierens, der körperlichen Vermittlung? Und wie lassen sie sich erforschen? Wie können wir soziale Choreographien in ihren spezifischen Kontexten verstehen und analysieren? Was erfordert eine Auseinandersetzung mit Tanz aus globalen und postkolonialen Blickwinkeln? Und wie lässt sich über kollektive politische Akte diskutieren, indem wir Methoden der Tanz- und Performancewissenschaft einbeziehen? Mehr noch, wie kann wissenschaftliche Forschung in diverse Praktiken des Bewegens und Tanzens zurückwirken?
Das interdisziplinäre Masterstudium Tanzwissenschaft an der Hochschule für Musik und Tanz nimmt solche Fragen nach ästhetischen, sozialen und politischen Formationen in den Blick und vermittelt so Tanzwissenschaft als ein zukunftsfähiges und gesellschaftlich relevantes Studium.
MA Tanzwissenschaft an der HfMT Köln
Die Hochschule für Musik und Tanz Köln ist eine von zwei deutschen Hochschulen, an denen Tanzwissenschaft als eigenständiges Fach in einem interdisziplinären, 4-semestrigen Masterstudiengang studiert werden kann. Einmalig für den deutschsprachigen Raum ist hierbei die Anbindung an die lebendige tanzpraktische Studienumgebung am Zentrum für Zeitgenössischen Tanz und an das Deutsche Tanzarchiv Köln - eines der größten Tanzarchive Deutschlands.
Die personelle Ausstattung mit drei tanzwissenschaftlichen Professuren sowie zwei wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen-Stellen garantiert Studierenden in enger Zusammenarbeit mit den Lehrenden im tanzpraktischen Bereich eine beispiellose fachliche Vielfalt und ideale Betreuungssituation. Die vertretenen Forschungs- und Praxisexpertisen reichen von Tanzgeschichte, Choreographie, Dramaturgie über die kritische Auseinandersetzung mit diskursanalytischen, empirischen und qualitativen Forschungsmethoden über thematische und methodische Schwerpunkte im Bereich Tanz und Politik, Sozial- und Kulturanthropologie, Ethnographie, Gender, Medien, Intersektionalität und dekoloniale Theorien bis hin zu unterschiedlichen lokalen und globalen Schwerpunkten u.a. in Südeuropa, (Südlichem) Afrika, dem Mittleren Osten und dem europäisch-amerikanischen Raum.
Eine rege Diskussionskultur und Methodenvielfalt fördern ein selbstreflexives Verständnis von Wissenschaft. Anhand der Auseinandersetzung mit einer Vielfalt tänzerischer Praktiken – die künstlerische Formen und Arbeitsweisen ebenso wie Alltags- und Populärkultur oder Protestbewegungen in öffentlichen Räumen in den Blick nehmen – werden ästhetische, historische, politische und soziale Untersuchungsperspektiven erschlossen.
Das Erlernen einer kritischen Lektürepraxis wird ebenso systematisch entwickelt wie die Fähigkeit, Methodenkompetenzen und Erkenntnisse auf andere wissenschaftliche, aber auch außerakademische Kontexte übertragen zu können. Schreibwerkstätten führen Studierende an diverse Formate des Schreibens über und mit Tanz heran, die in Publikationen, dramaturgischen Projekten und interdisziplinären Kooperationen in die Anwendung gebracht werden. Nicht zuletzt befragen zahlreiche Übungen über Verschränkungen von Theorie und Praxis die Grenzziehungen zwischen beiden.
Das Studium wird sowohl in regelmäßigen Seminarveranstaltungen (vor allem im ersten Jahr) als auch in Blöcken und gezielt projektorientiert angeboten. Es fördert so nicht nur die eigenständige und thematisch selbstbestimmte Forschung, sondern auch die Anbindung an verschiedene Berufsfelder. Das Zentrum für Zeitgenössischen Tanz ist sehr gut mit der Tanzszene NRW (u. a. tanzhaus nrw, PACT Zollverein, FFT Düsseldorf, tanzfaktur Köln, Schauspiel Köln) vernetzt. Es bringt Studierende in Kontakt mit der regionalen, aber auch überregionalen Szene sowie mit universitären (u. a. Universität zu Köln, KHM Köln) und anderen Partnerinstitutionen (u.a. Kolumba Museum, Museum Ludwig, Rautenstrauch-Joest-Museum, Akademie der Künste der Welt).
Wer?
Der Masterstudiengang Tanzwissenschaft richtet sich an offene und engagierte Studierende aller Disziplinen, die daran interessiert sind, sich ein kritisch-reflektiertes Methodenspektrum anzueignen, um Phänomene von Körper, Bewegung und Tanz wissenschaftlich verstehen und untersuchen zu können. Ebenso richtet er sich an jene, die im tänzerischen Feld in Bereichen der Vermittlung, Förderung, Kontextualisierung arbeiten möchten bzw. bereits künstlerisch aktiv sind, und die sich in einem intensiven Studienprogramm einer Fortentwicklung ihrer Praxis widmen möchten.
Zugangsvoraussetzungen sind in der Regel ein erster Hochschulabschluss (z.B. im Bereich Tanz, Theater- und Musikwissenschaft, Kultur- oder Sozialwissenschaften) und eine einschlägige Begründung der Studienmotivation. Studierende sollten über sehr gute Kenntnisse in Deutsch und Englisch verfügen. Das ZZT ist an einer heterogenen, diversen und interdisziplinären Studierendengruppe interessiert.
Bewerbungsschluss zum Studienbeginn im Wintersemester (beginnend im Oktober) ist der 1. Juni jeden Jahres. Die Bewerbungsunterlagen sind an das Studiensekretariat zu richten.
Die Bewerbung erfolgt online über die Plattform muvac. Alle Informationen zum Verfahren finden Sie auf unserer Bewerbungsseite.
Zugangsvoraussetzung für den MA Tanzwissenschaft ist in der Regel ein erster Hochschulabschluss (z.B. BA-Abschluss in Fächern wie Tanz, Theater- oder Musikwissenschaft, Kultur- oder Sozialwissenschaften, bzw. in anderen Bereichen, die eine erste Auseinandersetzung mit Körper, Tanz, Choreographie sowie der sozialen und politischen Interaktion bewegter Körper in einer Bandbreite räumlicher Kontexte ermöglicht haben).
In Einzelfällen, etwa bei Vorliegen eines künstlerisch orientierten BA-Abschlusses, kann die Zulassung unter Auflagen für den Besuch weiterer Lehrveranstaltungen der Tanzwissenschaft im Studiengang BA Tanz erfolgen.
Da die Lehrveranstaltungen vorrangig auf Deutsch unterrichtet werden, aber auch englischsprachige Literatur einbezogen wird, sind sehr gute deutsche und englische Sprachkenntnisse eine Studienvoraussetzung.
Anmeldefrist
Bewerbungsfrist ist der 1. Juni jeden Jahres für einen Studienstart im Wintersemester (beginnend Anfang Oktober). Bei Fragen können Sie gerne Prof. Dr. Yvonne Hardt kontaktieren. Nähere Informationen zum Studiengang finden Sie hier.
Studierende im MA Tanzwissenschaft absolvieren im Laufe von 4 Semestern insgesamt 6 Module.
Um die Absolvent*innen bestmöglich auf ein breites Spektrum beruflicher Felder vorzubereiten sowie im Einklang mit dem speziellen Profil des ZZT gehen theoretische und praktische Perspektiven vom ersten Semester an Hand in Hand. Neben den theoretisch-methodischen Forschungsseminaren sind in der Regel ein bis zwei praktische Übungen in jedem Modul bzw. ein Praktikum integriert. Diese geben Studierenden die Möglichkeit, ihre Kompetenzen in der Anwendung zu vertiefen und in konkreten Arbeitskontexten zu erweitern.
Die Seminare sind exemplarisch und methodisch ausgerichtet, um ein vertiefendes lektüre-, recherche- und projektintensives und dabei in der Detailgestaltung sehr eigenständiges MA-Studium zu ermöglichen.
Modul 1: Methoden der Tanzwissenschaft
Hier wird ein Überblick über Problemfelder, Fragestellungen, Terminologien und Forschungsperspektiven des Studienfachs vermittelt. Die Studierenden werden über eine intensive Lektürepraxis motiviert, sich eine kritische wissenschaftliche Perspektive anzueignen, damit sie selbstständig tanzwissenschaftliche Themen erforschen und ihre jeweiligen Methoden reflektieren können. Diese reichen von bewegungs- und diskursanalytischen Verfahren zu qualitativ empirischen und ethnographischen Methoden bis hin zu kollektiven Forschungsdesigns. In ergänzenden Übungen werden Arbeitsfelder der Tanzwissenschaft an der Schnittstelle zur tänzerischen Praxis erprobt. Tanzpraktische Kurse werden dabei in Hinblick auf ihr Potenzial einbezogen, das tanzwissenschaftliche Methodenspektrum um körperlich-reflexive Analysekompetenzen zu ergänzen.
Modul 2: Tanzhistoriographie
Das Modul dient der Vermittlung historiographischer Verfahren und einer Reflexion von Geschichtsschreibung, die insbesondere den Kanon tanzwissenschaftlicher Forschung kritisch befragen möchte. In diesem Zusammenhang rücken globale oder informelle Praktiken bzw. unterschiedliche soziale, nationale oder kulturelle Narrative in ihrer Materialität, Entstehung und Wirksamkeit in den Blick.
Die Studierenden erhalten die Möglichkeit, in der tanzpraktischen Erarbeitung von (Re)-konstruktionen kritische und performative Perspektiven auf Tanzgeschichte/n zu entwickeln. In Übungen im Deutschen Tanzarchiv Köln eignen sie sich Kenntnisse in der Recherche und im Quellenstudium an und arbeiten z.B. an der Edition und Webpräsentation von Nachlässen. Diese praktische Erfahrungsebene wird angebunden an eine weiterführende Auseinandersetzung mit innovativen Herangehensweisen daran, was Archive und Gedächtniskulturen im Tanz und bezogen auf bewegungs- und körperbezogene Praktiken sein können. Oder auch damit, wie Bewegung und Körper von Dingen berichten, die im Archiv keinen Ort finden und wie sie darüber eine kritische Untersuchung von Tanzgeschichte ermöglichen.
Modul 3: Komposition, Choreografie und Dramaturgie
In diesem Modul werden kompositorische, choreografische und dramaturgische Methoden theoretisch und praktisch erarbeitet und reflektiert. ‚Komposition‘, ‚Choreografie‘ und ‚Dramaturgie‘ werden dabei über den Kontext von Bühne und Theater hinaus als situierte Konzepte in einer erweiterten Perspektive verstanden. Neben der Vermittlung von historischen und zeitgenössischen Konzepten von Choreografie und Komposition, regt das Modul über studiengangsübergreifende kollaborative Formate im ZZT sowie regelmäßige Kooperationen mit Institutionen außerhalb der Hochschule zum Transfer zwischen wissenschaftlicher und tänzerischer Praxis an. Im Dialog mit Analysen unterschiedlichster ästhetischer, dramaturgischer und choreografischer Arbeitsweisen werden Ideen und Konzepte für eigene und kollektive Projekte entwickelt und umgesetzt. Das Modul beinhaltet ebenso Einführungen in Aspekte von Projektmanagement, in das Schreiben von Förderanträgen sowie in institutionspolitische Fragestellungen.
Modul 4: Körper / Künste / Medien im Globalen Kontext
Studierende arbeiten sich in zeitgenössische Entwicklungen in diversen Feldern von Tanz ein und bringen translokale Verbindungen in Dialog mit ihrer eigenen Forschung und Praxis. Indem das Modul Künste und Medien miteinander verschränkt, haben Studierende die Möglichkeit, eine große Bandbreite von Perspektiven und Interessen einzubringen und miteinander zu verknüpfen, darunter Musik, Bildende Kunst, Theater, Performance und künstlerische Äußerungen im Alltag wie Formen des Protests - bezogen auf eine Vielfalt globaler Kontexte. Zentral ist dabei das theoretische Engagement aus einer dekolonialen Haltung heraus, um etwa die Politiken konkreter Ästhetiken oder kuratorischer Strategien zu betrachten. Kritische Theorien (‚gender‘, ‚race‘, Ethnizität, Dis/Ability, Sexualität) werden in diesem praktisch orientierten Studienbereich mit Bezug auf diverse kulturelle und politische Settings diskutiert. Dabei werden Chancen und Problemstellungen vergleichender Forschungsstrategien erörtert. Die Studierenden werden zur Durchführung eigener künstlerischer und wissenschaftlicher Forschungsvorhaben ermutigt, die mit dem Einsatz unterschiedlicher Medien einschließlich webbasierter Formate experimentieren, um etwa zu einer Erweiterung der öffentlichen Reichweite von Tanz als ästhetischem, kulturellem und politischem Untersuchungsfeld beizutragen.
Modul 5: Forschungsmodul
Dieses Modul bietet Studierenden die Möglichkeit, selbstständig eine frei gewählte tanzwissenschaftliche Fragestellung zu erforschen. Die im Studium erworbenen Kenntnisse und Kompetenzen sollen praxisnah angewendet und erprobt werden. Das Modul wird mit einem Format abgeschlossen, in dem Studierende ihren Forschungsprozess sowie die gewonnenen Erkenntnisse in einer Präsentation öffentlich vermitteln. In diesem Modul lernen Studierende überdies ein Forschungsexposé für ihre MA-Arbeit zu schreiben ein Vorgehen dafür zu entwickeln und zu diskutieren.
Modul 6: Prüfungsmodul
In diesem Modul schreiben die Studierenden die Masterarbeit und legen eine mündliche Prüfung darüber ab.
Das Studium qualifiziert für eine weitere Karriere sowie ein Promotionsstudium im Bereich der Tanz- und Kulturwissenschaft bzw. allen Wissenschaftsbereichen, in denen für eine dezidierte Auseinandersetzung mit Körpern, Bewegung, Verfahren der räumlichen Ordnungen ein kritischer Methodenansatz Voraussetzung ist. Es qualifiziert ebenso für Tätigkeiten an Theatern und anderen kulturellen Institutionen u.a. in Bereichen wie Kuration, Kulturmanagement, Dramaturgie, Produktion und Kommunikation. Weitere naheliegende Tätigkeitsfelder finden sich in der Kulturpolitik, in Archiven und Verlagen z.B. als Lektor*in oder Kritiker*in). Die systematische Förderung von Erfahrungen mit Transferprozessen bezogen auf Wissensformen und Methoden im Tanz befähigt Absolvent*innen aber auch dazu, ihre im Studiengang gewonnenen Kompetenzen und Kenntnisse passfähig auf andere berufliche Kontexte zu übertragen.